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Bialowieza 2

Text und Fotos: Gudrun Kaspareit

15.10.2017

Urwald Bialowieza
(c) Gudrun Kaspareit Urwald Bialowieza

So lange träumte ich schon davon, diesen einzigartigen Urwald mit eigenen Augen zu sehen. Ich hatte noch ein wenig Zeit und fuhr einfach los. Ein guter Freund konnte ganz spontan mitkommen. Nun, 1200 km weiter, in Polen an der weißrussischen Grenze sind wir am Ziel unserer Wünsche. Als Erstes fällt mir auf, dass dieses Dorf überwiegend aus Holzhäusern besteht, im Stil russischer Datschen. Es wirkt gemütlich und beschaulich. Das Zweite sind die Wisente: aus Holz, aus Bronze, als Warnhinweisschild, aus Buchs geschnitten, auf Bierdosen gedruckt. Kurzum der Wisent ist das Wahrzeichen Bialowiezas.

Wir finden auf Anhieb ein „Apartementy“, sogar mit einem Kachelofen und planen den nächsten Tag.

 

Heute wandern wir auf dem „Zebra-Zubra“ den Rippen des Wisents, so genannt, weil die Holzstege, die über das sehr feuchte Gebiet führen an die Rippen des Wisents erinnern. Außerdem kommen wir an dem Weg der Königseichen vorbei. Sie sind nach Königen benannt und schon sehr alt. Im Anschluss geht es in das Wisentgehege.

Es ist sehr herbstlich, es regnet. Goldene Blätter und Regentropfen fallen in die moorigen Gewässer, ein leises Platschen welches Ringe bildet, ansonsten Stille. Erhaben stehen die hohen Bäume. Die Stimmung ist unwirklich. Man schweigt und staunt. Man atmet tief den Odem des Waldes. Das Herz kommt zur Ruhe, die Seele wird weit.

 

Dann kommt man zum Wildpark, wo alle Tiere gezeigt werden, die auch in den Wäldern leben: Natürlich Wisente, aber auch Rothirsche, Rehe, Wölfe, Luchse und Schwarzwild. Wir hoffen, dass wir diese Tiere auch in freier Wildbahn zu sehen bekommen.

Am Abend haben wir für den nächsten Tag einen Fremdenführer organisiert und uns um 9:00 verabredet. Dieser Guide soll uns das streng geschützte Kerngebiet des Nationalparkes zeigen.

 

Der Fremdenführer entpuppte sich als ältere Dame, die früher Deutschlehrerin gewesen ist. Sie war äußerst engagiert und erklärte uns die Geschichte des Ortes, des Waldes, der Bäume, Pilze und Pflanzen.

Endlich öffnet sich das große Holztor und wir betreten eine andere Welt. Es herrscht Ruhe, als wenn man eine hohe Kirche betritt. Das Wetter, der Wind, die Geräusche bleiben außerhalb, die sehr hohen Bäume (teilweise 50 m.) überdachen uns. Unter diesen Bäumen giebt es ein ganz eigenes Klima, eines der Stille und Erhabenheit, fast sakral. Hier erfährt man die Bedeutung des Spruches „Unter allen Wipfeln ist Ruh“. Man sieht den Kreislauf des Lebens all überall. Junge Bäume schießen empor, die alten Baumriesen beschirmen sie. Gestürzte Veteranen werden von Pilzen besiedelt und von Myrriaden kleinster Lebewesen zu Humus zersetzt. Doch zuvor nutzten Spechte ihr weiches Holz, um Nisthöhlen zu hacken. Wenn die Spechte ausgezogen sind, werden diese Höhlen von Fledermäusen, Bienen, Hornissen, Kleibern, Bilchen und anderen Höhlenbrütern genutzt. Danach kommen allerlei Insekten, Käfer, Pilze, Mikroben und geben dem Wald die Nährstoffe zurück, indem sie den alten Baum zersetzen. Farne, Moose, Flechten wachsen auf ihnen, Hunderte bunte Baumpilze, Sauerklee. Nirgends gibt es so viel wimmelndes Leben, wie auf einem toten Baum. Ein toter Baum ist ein Hort des Lebens. In diesem Wald gibt es eine große Vielzahl verschiedener Bäume, Buchen, Eichen, Ahorne, Eschen, Hainbuchen, Fichten, Linden, Erlen und viele mehr. Sie sind alle unglaublich hoch, alle strebten zum Licht. Aber viele waren auch gebogen, geknickt, gebrochen, krumm, hohl, gestürzt aber von den anderen Bäumen noch gehalten. Ein wirres Durcheinander von Bäumen und anderen Pflanzen. Sie lebten miteinander, aufeinander, ineinander, voneinander. Ein Füllhorn des Lebens mit einer schier unglaublichen Artenvielfalt. Inmitten all dem stand eine Hirschkuh und beäugte uns ganz ruhig. Sie war nicht auf dem Sprung, sie war nicht ängstlich, nicht neugierig, sie beobachtete uns nur.

 

Diese Führung war ein einmaliges Erlebnis. Gut war auch, dass wir nur eine Mini-Gruppe waren, so konnten wir die besondere Stimmung ungestört in uns aufnehmen. Die Naturführerin erzählte uns viele interessante Detailes. Unzählige in Europa selten gewordene Vögel leben hier. Beispielsweise der Schwarzstorch oder die Blauracke. Hier brüten neun Spechtarten, u. a. Weißrückenspecht und Dreizehenspecht, sowie Schreiadler und Schlangenadler, sieben Eulenarten, Rotdrosseln und Zwergschnäpper. Darüber hinaus gibt es 3.500 Pilz- und 5.500 Pflanzenarten .

Auch zeigte sie uns diverse Holzkreuze, die Massengräber kennzeichnen, welche aus dem 2. Weltkrieg stammten. Damals hatte Göring befohlen, den Wald, den er als persönliches Jagdrevier nutzen wollte, zu räumen. Die Nazi Schergen zerstörten und verbrannten 116 Dörfer, vertrieben 7000 Menschen und töteten 900 Juden und Partisanen.

 

Am nächsten Tag stehen wir um 5:00 auf, um die wilden Wisente zu sehen. Und tatsächlich, sehen wir eine Gruppe von 5 Tieren eilig dem Wald zustreben. Leider ist es zu dunkel, zum Fotografieren. Erst allmählich lichtete sich die Morgendämmerung und da! Am Birkenhain! Stehen tatsächlich drei weitere Wisente. Es sind Bullen. Wir gehen vorsichtig in ihre Richtung. Die Tiere lassen sich nicht stören und grasen friedlich weiter. Als wir immer dichter kommen drehte sich erst einer um, dann alle drei und starren uns an. Noch ein Stück dichter und noch ein Stück. Mir schlug das Herz im Hals. Die Wisente glotzen unbeweglich. Ich traue mich noch ein wenig näher heran, schoss einige Fotos. Die Wisente machen keine Anstalten sich zurückzuziehen, also ziehe ich mich zurück. Was für ein wunderbares Erlebnis.

 

Leider gibt es auch weniger Schönes zu berichten. Im März 2016 begann die rechtskonservative Regierung Polens, eine Verdreifachung der bisher zugestandenen Abholzung des Waldes zu erlauben. Es waren auch Gebiete betroffen, die bisher vor Eingriffen jeglicher Art geschützt waren. Begründet wurden diese Maßnahmen mit der Bekämpfung des Borkenkäfers. Die Europäische Kommission verklagte Polen daraufhin im Juli 2017 vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Der Gerichtshof erließ die Anordnung eines sofortigen Abholzungsstopps, den der polnische Umweltminister Jan Szyszko jedoch ignorierte. Anfang August 2017 ließ die Europäische Kommission mitteilen, dass der Fall der Rodung in das laufende Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen aufgenommen werde, sollten die Abholzungen in dem Wald weiterhin andauern.

 

Eine deutsche Fernseh-Dokumentation (2017) belegte die Ansicht der Naturschützer, dass es der Forstverwaltung und der konservativen Regierung nicht um eine Bekämpfung des Borkenkäfers gehe, da die befallene und abgeschälte Rinde der geschlagenen Bäume nicht verbrannt wird und sich daher der Käfer weiterhin ausbreiten kann. Die benachbarte Bevölkerung in der strukturschwachen Region steht mehrheitlich auf Seiten der Regierung und fürchtet um ihre Arbeitsplätze in der Waldwirtschaft. Anwohner und Regierung kriminalisieren die Naturschützer, die sich an Forstmaschinen wie den Harvester ketten, um die Abholzung zu verzögern.

 

Der Kampf um den letzten Urwald Polens ist entbrannt. Umweltschützer und Biologen verurteilen die vermehrte Abholzung und haben den Verein „Wildes Polen“ gegründet.

Die in Polen geplanten Eingriffe stehen im Gegensatz zu den EU Naturschutzrichtlinien und allen Vereinbarungen, die in Zusammenhang mit der Einrichtung des UNESCO Welterbegebietes getroffen wurden. Sie werden von der IUCN, der UNESCO, dem Europarat, zahlreichen Naturschutzorganisationen sowie internationalen und polnischen Waldökologen, Naturschutzexperten und Forstwissenschaftlern strikt abgelehnt. Der Holzeinschlag schadet der Biodiversität des Gebietes. Denn in einem Naturwald bzw. einem naturnahen Wald stellt der Borkenkäfer keine großflächige Bedrohung dar. Der Wald kann mit diesem vermeintlichen Problem ohne Zutun des Menschen umgehen, wie Erfahrungen aus dem Nationalpark Bayerischer Wald zeigten.

 

Auf der weißrussischen Seite versucht man den Nationalpark mit Wiedervernässung zu retten. Im weißrussischen Nationalpark Belovezhskaya Pushcha bekommt der Wald sein Wasser zurück. Nur Wiedervernässung und Renaturierung kann UNESCO Weltnaturerbe Bialowieza retten – nicht die Motorsäge! Die Wiedervernässung des Dziki Nikar Niedermoores soll zur Rettung des UNESCO Weltnaturerbes, dem Bialowieza-Urwald beitragen. Die seinerzeit gezogenen Entwässerungsgräben, werden wiederverschlossen. So kann der Grundwasserspiegel ansteigen. Es ist ein erster Schritt, um den natürlichen Wasserhaushalt im Waldgebiet wiederherzustellen.75 Kilometer an Entwässerungsgräben werden mit 112 Dämmen verschlossen, damit das Wasser sich aufstauen kann. Schon nach kurzer Zeit wird sich der Wasserspiegel knapp an der Erdoberfläche einpendeln und hoffentlich schon nach wenigen Jahren werden auf dieser Fläche wieder seltene Vogelarten wie die Doppelschnepfe und der Wachtelkönig vorkommen. An den Waldrändern wird der ebenfalls seltene Schelladler Nahrung und Brutmöglichkeiten finden, denn er bevorzugt feuchte und nasse Übergange zum Wald, wie sie durch die Renaturierung wieder entstehen würden.

„Jetzt wird der einzigartige Wald von Bialowieza bzw. Beloveshkaya Pushcha wie er in Weißrussland genannt wird, wieder ein wenig wilder“, sagt Viktar Fenchuk, ZGF-Projektleiter vor Ort. „Wir hoffen, mit der Wiedervernässung des Niedermoores auch ein Zeichen gegen die Abholzungspläne der polnischen Regierung setzen zu können“, so Fenchuk weiter. Während auf weißrussischer Seite renaturiert wird, plant die polnische Regierung, trotz nationaler und internationaler Proteste, im naturnahen Wald rund um den Bialowieza Nationalpark, massiv Holz einzuschlagen. Damit gefährdet sie die natürliche Entwicklung des Waldes und den Status als UNESCO Weltnaturerbe. Das polnische Umweltministerium argumentiert, die Holzeinschläge würden dem Schutz des Waldes dienen und begründet dies mit der Trockenheit im Wald und der Gefahr durch Borkenkäfer.

„Nicht die Abholzung von Bäumen löst die möglicherweise bestehenden Probleme mit Trockenheit, sondern man muss dem Wald wieder seine Funktion als Wasserspeicher zurückgeben. Und dies tun die weißrussischen Kollegen jetzt“, sagt Michael Brombacher, Referatsleiter der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt und für das Projekt zuständig „Nur Wiedervernässung und Renaturierung kann das UNESCO Weltnaturerbe retten, nicht die Motorsäge!“

 

Was kann man tun, um die Rettungsbemühungen zu unterstützen? Die polnische Regierung zeigt sich stur und die Bevölkerung, steht mehrheitlich hinter ihr. Die Umweltschützer Polens werden kriminalisiert. Der Riss geht sogar quer durch einzelne Familien. Vielleicht sollte man künftigen Touristen raten, lieber den weißrussischen Teil des Nationalparkes zu besuchen? Ich sage das, obwohl es mir in Bialowieza so gut gefallen hat und die Menschen dort sehr freundlich und gastfrei gewesen sind. Doch wenn die Touristen ausbleiben, verstehen sie vielleicht, dass der Wald mehr Wert ist als nur die Summe seines Holzes.

Wilde Wisente
(c) Gudrun Kaspareit wilde Wisente

Nachsatz:

Scheinbar haben die Proteste gewirkt und vor allem die finanziellen Strafandrohungen des Europäischen Gerichtshofes. Die polnische Regierung hat die Rodungen vorerst gestoppt.

http://mailchi.mp/bmf/eilmeldungriesenerfolg-fr-polens-umweltschtzer-3343329

Kommentare: 5
  • #5

    Tina (Dienstag, 05 Dezember 2017 21:39)

    Mensch Gudrun, da hast Du Dich ja was getraut!
    Das Foto mit den Wisenten ist spektakulär!

    Glückwunsch.

  • #4

    Eva Schmelzer (Freitag, 01 Dezember 2017 17:01)

    Im selben Augenblick als ich Ende November von der guten Nachricht hörte, dachte ich an Dich! Ich freue mich so sehr für den Wald, all seine kleinen und großen Bewohner und die Aktivisten, die das erreicht haben - aber auch für Dich ganz persönlich, liebe Gudrun. Hoffen wir, dass es nicht nur ein vorübergehender Stopp ist, sondern dass der Wald immer erhalten bleibt.

  • #3

    Marion Hartmann (Freitag, 03 November 2017 09:57)

    Deine Erlebnisse, liebe Gudrun, in der überaus vielfältigen und interessanten Schilderung regten mich zu weiteren Recherchen an.
    War es damals der Einschlag der Nationalsozialisten, so ist es heute der Holzeinschlag, wobei letzteres in der heutigen Welt überhaupt nicht mehr wundert, man hat es beinahe überall zum Leidwesen schützenswerter Gebiete. Dank an Dich für diesen Bericht, dem ich sehr viele Zuschriften wünsche.

  • #2

    Eva Schmelzer (Donnerstag, 02 November 2017 17:12)


    Am liebsten würde ich nur das Wunderschöne Deiner Beschreibungen auf mich wirken lassen und behalten. Es ist Dir tatsächlich gelungen, den Leser mitzunehmen, so dicht sind Deine Schilderungen, ergänzt durch die einmalig schönen Fotos. Aber natürlich muss man auch die Fakten einbeziehen, dass auch über diesem Paradies das Damoklesschwert der Vernichtung schwebt. Tröstlich ist jedoch, dass die EU den Erhalt unterstützt so gut sie kann. Dass ein Touristen-Boykott wirksam wäre, wage ich leicht zu bezweifeln, da er in dieser Region ja wohl keine allzu große Einnahmequelle ist. Auf schnelle Einsicht von seiten Polens ist allerdings auch nicht zu rechnen, solche Umdenkungsprozesse dauern... So kann man nur hoffen ... Versöhnlich stimmt dann aber doch die Haltung Weißrusslands für seinen Teil dieser herrlichen Natur!

  • #1

    Torsten (Mittwoch, 01 November 2017 11:03)

    Liebe Gudrun, danke für den schönen und interessanten Artikel über Bialowieza! Ich möchte auch schon seit langem mal nach Polen fahren, da es dort noch sehr viel Natur gibt.
    Über den Holzeinschlag habe ich leider auch schon einiges gehört und es ist wirklich schlimm, wie hier einzigartige Natur den Profitinteressen von wenigen zum Opfer fällt... Und es ist wichtig, über die Schönheit solcher kleinen Paradiese zu berichten, damit der Druck zum Schutz größer wird. Herzliche Grüße Torsten